Beim Thema Arbeit 4.0 stehen wir in Deutschland immer noch ganz am Anfang. Das Bedürfnis nach Prozessautomatisierung nehmen wir zwar schon seit einiger Zeit wahr, aber das ist natürlich nur ein erster Schritt. Denn „Arbeit 4.0“ ist ein ständiger Prozess. In einigen Unternehmen hat dieser schon vor Jahren begonnen, andere gehen das Thema erst jetzt verstärkt an. Durch Corona hat „Arbeit 4.0“ einen regelrechten Boost erfahren und sowohl an Geschwindigkeit als auch an Bedeutung gewonnen. In der derzeitigen Krise haben Unternehmen, die schon vor der Pandemie mit der Automatisierung und Verschlankung von Prozessen begonnen haben, einen Vorteil.

Im Interview mit Lutz Krocker, Head of Product Management und Marketing der PROXESS GmbH, beleuchten wir entscheidende Aspekte von Arbeit 4.0 wie Collaboration, digitale Prozesse und Cybersecurity.

Wie hat die Corona-Krise die Akzeptanz digitaler Dokumentenprozesse beeinflusst? Konnten KMU ihre Vorurteile diesbezüglich abbauen?

Lutz Krocker: Das denke ich auf jeden Fall. Vor dem Lockdown gab es in vielen Köpfen Vorurteile gegenüber Heimarbeit, insbesondere was Effektivität und Kontrolle der Mitarbeiter betrifft. Aktuelle Tools und die Erfahrungen der letzten Monate haben jedoch gezeigt, dass das Konzept Homeoffice sehr gut funktioniert. Zudem bedeutet Digitalisierung naturgemäß zunächst einen gewissen monetären Invest, den KMU in der Vergangenheit nicht unbedingt als notwendig angesehen haben. Sie konnten es sich aufgrund ihrer Größe leisten, den Grad der Digitalisierung klein zu halten, da sie oft hemdsärmeliger und pragmatischer aufgestellt sind. Die Auswirkungen der Corona-Krise hat diese Unternehmen dann kalt erwischt und sie waren gezwungen, kurzfristig auf digitale Prozesse umzustellen. Viele unserer Kunden, mit denen wir schon vor der Pandemie eine digitale Rechnungsprüfung eingeführt haben, berichten uns, dass sie ihre Prozesse während des Lockdowns nicht umstellen mussten, sondern wie gewohnt weiterarbeiten konnten.

Welches sind anno 2021 die größten Anforderungen an Collaboration-Tools in Bezug auf gemeinsame Dokumentenbearbeitung und mobilen Datenzugriff?

Lutz Krocker: Das übergreifende Thema ist hier die Schaffung gemeinsamer Datenräume. Während es früher geteilte Verzeichnisse und E-Mails gab, muss der Zugriff heute von überall – beispielsweise aus dem Homeoffice – erfolgen können. Daher geht der Trend stark in Richtung Web Tools und Cloudspeicher. Doch nicht nur der reine Zugriff auf die Daten spielt dabei eine entscheidende Rolle, sondern vor allem das gleichzeitige Einsehen und Sichtbarmachen von Dokumenten. Aus dieser Möglichkeit ergeben sich auch Herausforderungen. So muss der Rückgriff auf vorhergehende Versionsstände weiterhin gegeben sein, wenn ein Dokument von mehreren Benutzern bearbeitet wird.

Welches sind die größten Herausforderungen, wenn es um die räumlich getrennte Zusammenarbeit im Team geht?

Lutz Krocker: Ich denke, die größte Herausforderung ist weniger technologischer als zwischenmenschlicher Natur. Viele Personen arbeiten zusammen an einem Projekt oder einem Thema, ohne sich zu kennen. Die zwischenmenschliche Komponente fehlt, die für ein Teamgefühl wichtig ist. Vertrauen, Loyalität etc. bauen sich über digitale Kommunikationswege schwerer und langsamer auf als im persönlichen Umgang.

Wie können digitale Lösungen und Prozessautomatisierung helfen, die Zusammenarbeit mit Kunden und Partnern auf der ganzen Welt zu verbessern?

Lutz Krocker: Großes Potenzial sehe ich in Self-Service-Portalen. Hier können Kunden ihre eigenen Auftragsdaten einsehen, erfassen und selbstständig ändern. In der internationalen Zusammenarbeit ist das speziell vor dem Hintergrund der Zeitverschiebung ein großer Pluspunkt. Damit ist eine Vereinfachung für alle Beteiligten geschaffen. Außerdem können digitale Lösungen sprachliche Barrieren durch automatische Übersetzungen abbauen und so für eine verbesserte Kommunikation sorgen. Die Schaffung von einheitlichen Standards und Normen beispielsweise bezüglich E-Invoicing ist ein weiterer wichtiger Punkt und Voraussetzung dafür, übergreifende harmonisierte Lösungen entstehen zu lassen, die heute nur durch komplexe dedizierte Systeme erreicht werden können.

Welches sind die großen Veränderungen in der Arbeitswelt, die auch nach Corona bestehen bleiben werden?

Lutz Krocker: Prozesse und Strukturen, die aufgrund der Corona-Krise digitalisiert wurden, werden auch danach erhalten bleiben. So wird es beispielsweise einen geringeren Papierverbrauch geben und dafür mehr digitale Dokumente. Diese lassen sich mit einem fortschrittlichen DMS schnell und einfach finden und bearbeiten, das wiederum spart Zeit und schafft so neue Ressourcen. Die Vorteile liegen klar auf der Hand. Vor Corona haben viele Unternehmen diese Umstellung gescheut. Ich denke, dass durch Corona ein generelles Bewusstsein dafür geschaffen wurde, wie wichtig es ist, digitale Prozesse anzugehen und den Digitalisierungsgrad im Unternehmen zu erhöhen.

Gleichzeitig ist ein anderes wichtiges Thema dadurch weiter in den Vordergrund gerückt: Cybersecurity. Der Schutz von Unternehmensdaten wird durch die Digitalisierung im Zuge der Corona-Krise ernster genommen. Außerdem glaube ich, dass sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte nicht mehr auf die Vorzüge der zeitlichen und räumlichen Flexibilität beim Arbeiten verzichten werden. Der Arbeitsplatz wird einfach abhängig von der Frage „Wo habe ich weniger Störfaktoren?“ gewählt. Ob die Wahl dann auf den Schreibtisch im Unternehmen oder im Homeoffice fällt, ist dabei natürlich nach wie vor individuell.